Gleich zu Beginn ein Geständnis: Ich hatte ein wenig Angst vor dieser Linux-Woche. Meine ersten Erfahrungen habe ich noch mit einer der ersten, rein textbasierten Versionen des freien Betriebssystems gemacht (sah aus wie MS-DOS und konnte nichts mit Spielen anfangen, Teenager-Dennis-untauglich).
Dann kam eine Episode um die Jahrtausendwende, wo Knoppix älteren PCs zu Multimedia-Altersaufgaben verholfen hat.
Aber komplett umsteigen? Linux ist doch frickelig und als beinahe-Boomer ist das mit dem Verteilen von Chancen für Ungewohntes ja auch schwierig.
Letzteres sagen jedenfalls andere, ich gehöre eher zur Fraktion ins-kalte-Wasser-springen. Also los, die Idee eines Windows-Sabbticals vorgeschlagen und dann tatsächlich ein bereits passend eingerichtetes Notebook von Tuxedo geschickt bekommen, den Windows-PC zur Seite geräumt und kräftig durchgeatmet.
Tag 1 - Gleich zünde ich alles an
Der erste Eindruck ist klasse: Nicht nur dass der Laptop sich als pflegeleichtes Mittelklassemodell auf Basis aktueller AMD-Hardware herausstellt, auch das vorinstallierte Tuxedo-OS heißt mich mit viel gewohnter Windows-Ästhetik warm willkommen. Alles nicht ganz so wie bei Windows 11, aber gewohnt genug, um sich zurechtzufinden.
Tuxedo Sirius 16
- AMD Ryzen 7 8845HS (8/16 Cores/Threads, bis zu 5.1 GHz)
- AMD Radeon RX 7600M XT mit 8 Gigabyte / 130 Watt
- 32 GIgabyte DDR5-5600
- 1 TByte M.2 SSD
- 16,1 Zoll Display, 2.560x1.440 Pixel und 165 Hz
Sogar Steam und all die Software, die für die Arbeit nötig ist, ließen sich halbwegs wie gewohnt installieren, an die ungewohnten Bezeichnungen der verbauten Laufwerke gewöhnt man sich schnell. Der Tag ist als Recherche geplant, da darf Steam schon mal an erster Stelle stehen.
Steam bekommt ihr übrigens auch ganz ohne Webseitenbesuch bei Valve über den Befehl:
sudo apt -y install steam
Dass danach aber in den Einstellungen noch Steam Play und eine bevorzugte Version von Proton (Valves hauseigene Kompatibilitätssoftware für Windows-Games) gewählt werden muss, hätte ich gerne vorher gewusst.
Allerdings startete auch danach kein einziges meiner ausprobierten Spiele. Weder The Last of Us Part I noch Deadlink, noch Cyberpunk 2077. Und Farthest Frontier ließ mich einmal ins Spiel und dann nicht mehr.
Wo sind die Streichhölzer? Ich will etwas brennen sehen ...
Der Rest des ersten Tages bestand aus Suchmaschinen, herumprobieren und erfolglosen Versuchen. Feuer konnte ich auch nicht finden, also habe ich beschlossen, der Beziehung zu Linux später eine neue Chance zu geben. Tuxedo OS ließ sich übrigens sehr bequem neu installieren.
Aus Wut wird ein Flirt
Der zweite Tag war einfach und ganz ohne Ausschüttung von Adrenalin zu bewältigen: Der Laptop blieb ungeöffnet. Nebenbei materialisierten in meinem Browser immer mehr Tabs mit Linuxtipps.
Tag Nummer drei startete mit leichten Bauchschmerzen, wie wenn man jemanden treffen muss, den man eigentlich gar nicht mag. Aber ok, irgendwann muss ich ja beginnen, mich erwachsen zu verhalten, warum nicht heute und warum nicht bei einem Date mit einem zickigen Pinguin?
Das vorinstallierte Tuxedo OS ist übrigens sehr schnell neu installiert, das Installationstool von Tuxedo lässt mich im Zweifel aber auch zu anderen Linux-Distributionen greifen. Doch vielleicht cheaten und heimlich Windows installieren? Möglich wäre es ja – aber dann wäre dieser Artikel jetzt bereits beendet und irgendwie sehr sinnfrei.
Und siehe da, beim zweiten Anlauf und mit ein wenig Linux-Basic im Hinterkopf entwickelt sich aus diesem Zusammentreffen tatsächlich ein Flirt. Irgendwas muss ich beim ersten Anlauf kaputtgespielt haben, jetzt weigern sich meine Steam-Spiele jedenfalls nicht mehr zu starten.
Es ist trotzdem ein wenig kompliziert
Allerdings starten Spiele nicht immer auf Anhieb. Um eigentlich für Windows geschriebene Spiele mit all ihren Softwareabhängigkeiten in Form von DirectX und anderen Windows-Helferlein unter Linux starten zu können, braucht es Hilfe. Früher waren Programme wie Wine Mittel der Wahl, etwas fummelig ist der Umgang damit aber dennoch.
Zumindest im Vergleich zu Proton, das von Valve primär für das Steam Deck gedachte Tool, das Steam fit für den Pinguin macht. Davon gibt es mehrere Versionen, läuft ein Spiel mal nicht direkt, hilft es meist, eine andere Proton-Version auszuprobieren.
Etwas weniger Luxus als unter Windows, aber kein Dealbreaker. Wenn man es weiß.
Kniffliger wird es, wenn ihr abseits von Steam spielen wollt. Microsoft zumindest schottet seinen Game Pass jedenfalls erfolgreich ab, ich war am Releasetag ernsthaft versucht, mir Manor Lords trotz Game-Pass-Abo bei Steam zu kaufen, um meiner Linuxwoche nicht untreu zu werden. Ob ich das getan habe? Sagen wir es so: Das Spiel läuft perfekt unter Linux.
Anwendungen wie Lutris vereinen Stores wie den von Epic Games, EA und GOG und bieten Möglichkeiten, entsprechende Spiele mit Umformungstools wie Wine zu starten. Wie bereits erwähnt ist das je nach Spiel mehr oder weniger Bastelei und hat zumindest im Rahmen meiner Versuche weniger Erfolgschancen als Proton unter Steam.
Proton basiert übrigens auch auf Wine, Valve scheint aber noch einiges an Arbeit investiert zu haben.
Problematisch sind oft Multiplayergames, deren Anti-Cheat-Maßnahmen sich mit den Verrenkungen der Software beißen, Windows-Routinen auf Linux zu starten. Da ich aber generell einen Bogen um Mehrspieler-Erlebnisse mache, kann ich dazu mit nur wenigen Erfahrungen dienen.
Genug gespielt, Realtalk
Es wäre schön, könnte ich den ganzen Tag nur am PC zocken, mitunter muss ich mich aber auch der Arbeitsrealität stellen.
Gute Nachrichten für Linux: Mein Job erfordert zumindest aktuell keine ungewöhnliche oder seltene Software, sondern primär Internetbrowser und Texttools. Benötigt ihr allerdings Programme abseits des Mainstreams oder wollt oder könnt euch nicht an Alternativen zu euren Anwendungen gewöhnen, bleibt nur der Versuch Windows in einer virtuellen Maschine oder gleich als Dualboot zu installieren.
Dualboot je nach Situation kann auch bei zickigen Spielen mitunter die einzige Lösung sein. Oder bei nicht artgerechter Hardware – der original Xbox Wireless Controller beispielsweise weigerte sich in der vergangenen Woche hartnäckig, eine funktionierende Bluetooth- oder Kabelverbindung herzustellen.
Ein Alternativcontroller aus der China-Restekiste hingegen funktionierte besser, hatte aber beim älteren Titel Heavy Rain
spielspaßsenkende Aussetzer. Ärgerlich bei einem auf Quicktime-Events basierendem Titel, der sich mit der Maus nicht sinnvoll nutzen lässt.
Bleibe ich jetzt bei Linux?
Würde (oder besser: werde) ich bei Linux bleiben? Ich glaube vorerst nicht. Das liegt sicher zu großen Teilen daran, dass ich bei Windows einfach weiß, welcher Handgriff mir bei Problemen hilft, ist also auch viel eigene Faulheit.
Ich halte es aber auch für gesünder, mich nicht dauernd über nicht sofort startende Programme, den Verlust vom Gamepass-Luxus oder mir ohne Recherche nichtssagende Fehlermeldungen (wenn denn mal welche kommen und ich nicht selbst nachsehen muss, hallo Proton) ärgern zu müssen.
Zusammengefasst daher: Probiert Linux ruhig einmal aus, Distributionen wie Ubuntu (auf dem auch das genutzte Tuxedo OS basiert) oder Debian sind erfreulich weit gereift, (unter anderem) Valve unternimmt einiges für die Spielekompatibilität und einige Nutzer werden wohl kaum einen Unterschied zu Windows feststellen.
Ob die Motivation dann für einen dauerhaften Umstieg reicht? Für mich leider noch nicht, ich versuche es im kommenden Jahr noch einmal.
Wie schaut es bei euch aus, nutzt ihr Linux oder liebäugelt ihr selbst mit einem Flirt mit dem Pinguin? Hat euch das Steam Deck eventuell sogar zur freien Betriebssystemalternative bekehrt?
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